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Kapitel 4

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Beitrag  Eternety Fr Jun 19, 2009 11:54 pm

Kapitel 4

Er begann von einer für mich völlig fremden Welt zu erzählen.
Ich war zwar in Europa schon etwas herumgekommen, aber nie so weit in den Osten, um die Karpaten kennen zu lernen.
Dort stammte Vishous ursprünglich her, wie er mir erzählte.
Er erzählte mir von dichten Wäldern, so dicht, dass man sie nur zu Fuß durchqueren konnte.
Von den wilden Tieren, die dort lebten und die jeden verirrten Wanderer zerrissen, wenn sie im Winter nichts zu fressen fanden.
Er selber war, ähnlich wie ich, in einem kleinen Dorf aufgewachsen, allerdings hatte er nie arbeiten müssen, denn er war das Kind einer unbedeutenden Adelsfamilie.
„Wie Graf Dracula?“, fragte ich ihn neugierig und sein Blick wurde finster.
„Nein, nicht wie er. Es gibt keinen Dracula, nur Vlad den Pfähler, aber der hat nicht viel mit uns zu tun. Er war ein Mörder, aber er tötete nicht, weil er wie wir Nahrung brauchte, sondern weil er ein Monster war, dass sein Vergnügen aus dem Töten von Menschen zog.
Die Menschen begehen den Fehler immer und immer wieder, uns mit ihm zu vergleichen. Siehst du das auch immer noch so, kleine Blume?“, fragte er mich und ich schüttelte den Kopf.
Nein. Wir waren keine Bestien
Niemals töteten wir mehr als wir brauchten, teilweise sogar weniger.
Manchmal nahmen wir mit einem Streuner vorlieb, bevor wir noch einen Menschen töteten.
„Nein, auch wenn wir keine Engel sind. Er hingegen hat keine Rücksicht genommen. Wir haben an seiner Seite gekämpft. Meine Familie war dazu verpflichtet und wir taten es gerne, um unser Land zu verteidigen.“

Er erzählte mir weiter, wie Generationen seiner Familie dort kämpften und das sie damals noch als Vampire geachtet und akzeptiert waren. Vishous selber war zu dieser Zeit schon über hundert Jahre alt und auch sein jüngerer Bruder kämpfte als Vampir an seiner Seite.
„Thorment war ungestühm und so geriet er in eines ihrer Feuer.“, sagte er und ich konnte deutlich die Trauer in seiner Stimme hören.
„Feuer ist nicht gut für uns. Halte dich immer vom Feuer fern, auch wenn du älter wirst, Iris.“, mahnte er mich, bevor er ins Feuer starrte, dass ironischerweise genau vor uns brannte und in seinen Gedanken versank.

Ich betrachtete ihn im Schein des Feuers.
Seine ebenmäßigen Gesichtszüge wurden vom Feuerschein erhellt und verliehen ihm ein unnatürliches Aussehen.
Seine langen, dunklen Haare glänzten im Feuerschein und schienen deshalb aus tausenden Tönen zu bestehen.
„Vishous?“, fragte ich ihn irgendwann leise, doch er reagierte nicht.
Er war zu sehr in seine Gedanken vertieft und so stand ich auf, um aus dem Raum zu gehen, als ich seine Hand auf meiner Schulter fühlte.
„Verzeih, kleine Blume. Erinnerungen können eine Last sein, vor allem, wenn die Erinnerungen so alt sind wie die Meinen. Das wirst du alles noch erfahren.“
Ich nickte und wollte mich zur Tür wenden, als er seine Hand hob und mir eine Strähne von der Wange stich.
„Die lösen sich immer…“, murmelte ich und strich schnell die Strähne hinter mein Ohr.
„Nein. Du solltest sie offen lassen.“, meinte er leise und zog mir mit einer unbeschreiblichen Geschwindigkeit mein Haarband aus den Haaren.
Wie eine Kaskade fielen meine Haare über meine Schulter und ich sah ihn nur verwundert an.
„Viel besser.“, hauchte er und gab mir einen kurzen Kuss auf die Lippen, bevor er sich ohne ein weiteres Wort wieder in seinen Sessel setzte.
Würde mein Herz noch schlagen, es wäre bestimmt aus meiner Brust gesprungen.
Kurz blieb ich wie angewurzelt stehen, doch dann murmelte ich eine kurze Entschuldigung und verschwand in mein Zimmer, das direkt neben seinem lag.
Ich ließ mich dort auf mein Bett sinken und dachte darüber nach, was ich alles gehört hatte.
Ich legte mich hin und schloss die Augen.
Bilder erschienen vor meinem inneren Auge.
Tiefe, dunkle Wälder.
Ein Blätterdach, durch das kein Lichtstrahl drang.
Die Sterne, die über einer kleinen Lichtung schimmerten und ein Wolf, der einsam auf einem Felsen stand und den Vollmond anheulte.
Das alles entsprach wahrscheinlich mehr einem Klischee als der Realität, doch genau so stellte ich mir die Heimat von Vishous vor.
Langsam schlummerte ich ein und in mir reifte der Gedanke, dass alles irgendwann in echt zu sehen.
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